1. Schutz vor Repressalien: Beweislastumkehr
Hinweisgeber:innen werden vor „Repressalien“, zu verstehen als „Benachteiligungen“ (§ 36 Abs. 1 S. 1 HinSchG), geschützt.
Beeindruckend gedankenlos erfolgte die Regelung der Beweislastumkehr in § 36 Abs. 2 HinSchG.[1] Danach muss ein/e Hinweisgeber:in nicht beweisen, dass er/sie wegen seines Hinweises benachteiligt worden ist. Vielmehr genügt es, wenn er/sie zeitlich „nach“ einer Meldung eine Benachteiligung erfährt. Die Benachteiligung muss also, nimmt man das Gesetz wörtlich, noch nicht einmal in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Hinweis stehen. Ebenso wenig muss es (im Gegensatz etwa zu § 22 AGG) zumindest irgendein Indiz für einen Zusammenhang geben.
Benachteiligungen sind etwa Kündigungen, das Versagen einer Beförderung, geänderte Aufgabenübertragungen, Disziplinarmaßnahmen, Diskriminierungen oder Mobbing.
Folgt eine Benachteiligung nach einem Hinweis, hat das Unternehmen zu beweisen, dass die Benachteiligung sachlich gerechtfertigt ist oder nicht auf dem Hinweis beruhte.
Merke: Wer einen Hinweis gibt, ist in nicht nachvollziehbarem Ausmaß vor „Benachteiligungen“ geschützt! |
Nimmt man das Gesetz wörtlich, würde das zu Folgendem führen:
a) Missbrauchsbeispiel Nr. 1: Probezeit
Ein/e Arbeitnehmer:in befürchtet am Ende der Probezeit, dass er/sie nicht übernommen wird. Also gibt er/sie der Meldestelle einen Hinweis (ggf. völlig vage, etwa einen allgemeinen Hinweis auf Arbeitszeitverstöße). Eine Woche später folgt die befürchtete Probezeitkündigung – also „nach“ der Meldung.
Der/die Arbeitgeber:in muss dann beweisen, dass es sachliche Gründe gibt und die Kündigung nicht auf dem Hinweis beruhte. Das wird – gerade bei Probezeitkündigungen – praktisch nie gelingen. Schließlich haben gerade Probezeitkündigungen selten einen konkreten Grund, sondern beruhen typischerweise auf einem bloßen, nicht dokumentierten Gesamteindruck.
Damit ist die Probezeitkündigung unwirksam. Dem stünde auch nicht entgegen, dass gemäß § 37 Abs. 2 HinSchG kein Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses besteht, weil eine Probezeitkündigung ein bestehendes Arbeitsverhältnis als solches beendet.
Darüber hinaus muss das Unternehmen dem/der Arbeitnehmer:in einen etwaigen Schaden ersetzen, den er/sie aus der Maßnahme erleidet.
b) Missbrauchsbeispiel Nr. 1: Beförderungen
Noch deutlicher wird die Absurdität des Gesetzeswortlauts anhand des folgenden Beispiels:
Ein/e Arbeitnehmer:in bewirbt sich auf eine Beförderungsstelle. Das Ausbleiben einer Beförderung ist eine „Repressalie“ im Sinne des HinSchG. Außerdem gibt der/die Arbeitnehmer:in der Meldestelle einen Hinweis. Nach dem Hinweis wird er/sie nicht befördert. Es ist dann davon auszugehen, dass er/sie wegen des Hinweises nicht befördert wird. Im Ergebnis wäre er/sie zu befördern. Jedenfalls hätte er/sie einen Anspruch auf das höhere Gehalt.
Der Gesetzeswortlaut beruht offensichtlich auf einer Gedankenlosigkeit des Gesetzgebers. Er ist nach unserer Einschätzung so offensichtlich ein Redaktionsversehen, dass die Rechtsprechung das Gesetz insoweit nicht anwenden wird. Auch in der Gesetzesbegründung weist nichts darauf hin, dass der Gesetzgeber über die Bedeutung der Formulierung reflektiert hat. Insofern ist zu vermuten, dass die Rechtsprechung das Gesetz hier korrigieren wird – inwiefern, bleibt jedoch abzuwarten. Wahrscheinlich ist, dass die Rechtsprechung sich an § 22 AGG orientieren wird. Dann müsste zumindest irgendein Indiz für einen Zusammenhang zwischen dem Hinweis und der Benachteiligung vorliegen.
Merke: Die gesetzliche Formulierung einer Beweislastumkehr war zweifellos ein Versehen, das die Rechtsprechung korrigieren wird! |
[1] Kritisch: Quast/Ohrloff, CCZ 2022, 303; Bayreuther, NZA-Beilage 2022, 20